digitalanalog- "ein dreitägiger Spaziergang durch Klang und Raum"
31.10 - 2.11.2002 im Einstein Kulturzentrum


Lili Marleen, Baghdad, Februar 1991

Sabine Lutzenberger
Gesang
Ernst Horn
Keyboards, Komposition

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Als ich gegen 22 Uhr den Veranstaltungsort erreiche, ist schon recht viel los. Das digitalanalog-Festival stellt sich als Insider-Treffen der Münchner Elektronik- und Analogmusikszene heraus. Viel fachkundiges Publikum, vorwiegend vermutlich aus dem aktiven Umfeld des "Ultraschall".

In den unterirdischen Kellergewölben der T.U.B.E. gibt es unterschiedlich große röhrenartige Räume; aus jedem der Eingänge drang Musik und der Schein von Videoinstallationen nach aussen. In dem größten der Räume liefen laufen die Vorbereitungen für das Konzert von Ernst Horn und Sabine Lutzenberger. Keine Bühne. Die von Ernst bekannte nach vorn offene "Keyboard-Burg" steht ebenerdig am Saalende, ein Mikroständer wird mitten im Saal positioniert.

Konzertfoto1Drum herum stehen Holzpodeste in verschiedenen Ebenen für das Publikum bereit und ein Steuer-Pult für den Live-"VJ" (Videoartist). Ein Programmzettel liegt aus und macht neugierig.

Der Saal füllt sich nun rasch und pünktlich und nach einer kurzen Begrüßung durch den Veranstalter treten Ernst Horn und Sabine Lutzenberger vor und werden mit kurzem herzlichem Applaus begrüßt.

Das Licht erlischt und nur die hinten stehende Keyboardburg und die Sängerin in der Mitte des Saals bleiben noch in ein schummriges Licht getaucht.


FlKonzertfoto2irrende Elektronik-Sounds heben an. Hinzu gesellt sich kurz darauf die Stimme der Lutzenberger. In einem einigen ca. 30 Minuten dauernden Klanggewebe knüpft Ernst musikalisch an sein "The Skies over Baghdad" an. Man hört modifizierte Tracks dieses Albums,welche live neu eingespielt wurden. Diese Grundstimmung leitet über in eine musikalische Welt, die Ernst Horn momentan zusammen mit Sabine Lutzenberger verwirklicht: "Helium Vola". Völlig neue Songs sind nun zu hören, das ganze klingt nun nach wehmütigen, altertümlich anmutenden Weisen, die jedoch immer wieder unterbrochen werden von Sprach- und Soundsamples aus "Skies". Ein Blick auf den Programmzettel liefert die Erklärung:

Während des Golfkrieges wurde versehentlich ein Luftschutzbunker bombardiert. Man sprach von ungefähr 400 Todesopfern, alles Zivilisten.

Konzertfoto3Es gab darüber kaum Dokumente, keine Berichte von, in letzter Minute, durch todesmutige Feuerwehrleute geretteten Kindern, von Vätern, auf der Suche nach ihren Angehörigen, keine Berichte über die Geretteten und ihre Traumatisierungen. Vom Abzug der Irakis aus Kuweit sah man nur eine unüberschaubare Menge an zerschossenen Armee- und Zivilfahrzeugen, keine Opfer. In Militärkreisen redete man von "Turkey-Shooting".

Im allgemeinen gilt der westliche Mensch als Individuum, der Rest der Welt ist, nach Hautfarbe differenzierte, Masse. Bilder von Einzelschicksalen, wie napalmverbrannte Kinder in Vietnam, sind für Politiker und Militärs daher ein großes Problem, und werden, nach Möglichkeit, verhindert.

Unsere Musikperformance versucht, eine einzelne Person in den Mittelpunkt zu stellen, eine Art "Lili Marleen", die in schwermütigen Liedern ihren Liebsten herbeisehnt. Den Texten in altportugiesischer Sprache werden Zitate von George Bush sen. zum Golfkrieg und George Bush jun., sowie Regierungssprecher Ari Fleisher zum Thema "Saddam" gegenübergestellt. Einige Zitate aus dem althochdeutschen "Hildebrantslied" beschreiben den Kampf von Vater und Sohn.



Konzertfoto4Ein vom Veranstalter gestellter Live-VJ mischt zu den Klängen abstrakte Bilder und Muster an die kahlen Saalwände und macht alles noch etwas unwirklicher und monumentaler.

Die faszinierende Horn'sche Live-Elektronik und die in Topform singende Lutzenberger machen das Klangspektakel, das die Zuschauer unmittelbar und aus großer Nähe miterleben können, zu einem enormen Sinneseindruck. Auch viele der Zuschauer, die eigentlich eher in elektronischen Dance-Welten zuhause zu sein scheinen, können sich der unglaublich dichten Atmosphäre des Auftritts nicht entziehen. Kein Rumlabern, kein Kommen und Gehen wie in anderen Events der Veranstaltung trüben den Abend.


Konzertfoto5Langer Applaus nach dem Ende des Auftitts belohnen die zwei Musiker für die perfekte Darbietung, bevor dann Robert Görl (DAF) die beiden ablöst und mit einem Soloauftritt die weitere musikalische Gestaltung des Abends bestreitet. Ernst Horn wird diesen Auftritt später zu einem seiner seit langem schönsten und intensivsten Konzerten zählen. Dem kann man aus Zuschauersicht unbedingt beipflichten!


CE, 1.11.02